Conrad Kerbel

Obwohl oder vielleicht gerade weil ihm die Sonne so früh am Morgen schon voll ins Gesicht schien, war der junge Mann wütend. Er hatte verschlafen, Kaffee verschüttet und er wusste noch nicht, was ihm gleich vollends den Tag versauen würde. Dann sah er den Blitz.

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„Achtundachtzig, das sind achtunddreißig zuviel.“ Conrad Kerbel notierte Kennzeichen, Fahrzeugmodell und überschrittene Höchstgeschwindigkeit mit einem behaglich warmen Glühen im Bauch auf seinem Ringbuchblock mit Karopapier. Um seine Mundwinkel kämpfte ein schiefes Grinsen um sein Überleben, wurde aber dann vom eisigen Kalkül des jungen Herrn Kerbel niedergerungen.

Der rote Toyota mit dem blonden Proleten am Steuer war sein fünfter „Fang“, wie Conrad zu sagen pflegte, an diesem frischen Sommermorgen. Keine schlechte Bilanz – aber ausbaufähig. Ein keimender Sommer lockerte eben das Testosteron und verwandelte die ohnehin schon unerträgliche Menschenplage völlig in eine Horde Wilder. „Wilde mit Bleifuss“, bei diesem Gedanken röchelte sich ein krummes Lachen hervor aus dem tiefsten Graben, der noch einen letzten Funken Menschlichkeit enthielt, im vertrockneten Innern Conrads.

Später würde Conrad die gesammelten Geschwindigkeitsübertretungen – und, falls nötig, weitere beobachtete Ordnungswidrigkeiten – wie jeden Tag bei der lokalen Polizeidienststelle einreichen und darauf bestehen, Strafanzeige gegen jeden einzelnen im Protokoll vermerkten Verkehrssünder zu erstatten. Wie üblich, würden die Polizisten sein handbeschriebenes Papier zwar entgegennehmen, umgehende Bearbeitung versprechend, es im Hinterraum aber im Müll verschwinden lassen und sich lustig machen über diesen Pollunder tragenden Wunderling mit fettigem Haar. Aber das wusste Conrad nicht.

Und so saß er den ganzen Sonntag in seinem alten Audi an der Bundesstraße 414 und richtete seine Radarfalle, die er für viel Geld im Internet ersteigert und repariert hatte, auf den entgegenkommenden Verkehr. Mama wäre stolz, könnte sie ihn so sehen.

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